Dieser gemeinsame Artikel von Vincent Venus und mir für Treffpunkt Europa geschrieben und dort am 22. März 2012 veröffentlicht.
Die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) und die Europa Union Deutschland (EUD) rufen am kommenden Samstag zur Demonstration auf. Zusammen mit „Mehr Demokratie e.V.“ fordern wir die ungarische Regierung auf, ihre in vielen Bereichen fragwürdige Politik zu berichtigen und Teil der europäischen Wertegemeinschaft zu bleiben.
In diesem Artikel legen wir dar, warum uns die Entwicklungen in Ungarn Sorgen machen und warum wir am Samstag auf die Straße gehen werden.
1) Mediengesetz, Presse- und Meinungsfreiheit
Der neue Medienrat ist nicht pluralistisch besetzt und seine Amtszeit ist auf neun Jahre festgelegt – das ist unverhältnismäßig viel. Schwammige Gesetze bieten zu große Interpretationsspielräume, beispielsweise bei der Verhängung von Bußgeldern.
Der Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis wurden geschwächt. Posten werden mit fragwürdigen Personen besetzt, so zum Beispiel Daniel Papp als Chef der Medienholding. Dieser wurde zwar mittlerweile wegen gefälschter Beiträge entlassen, doch es stellt sich die Frage: wie konnte man jemanden aus dem Umfeld der rechtsextremen Jobbik überhaupt erst auf einen solchen Posten hieven? Dazu kommt eine Entlassungswelle kritischer Journalisten. Klubradio, einem kritischen Radiosender, wurde die Lizenz entzogen [1].
2) Die neue Verfassung
Die Präambel bedient sich einer Sprache, die juristisch schwer greifbar und interpretierbar ist, aber laut Verfassung für die Interpretation der Verfassung herangezogen werden muss. Die ohnehin schon hohen Zahl der Kardinalgesetze in sensiblen Politikfeldern oder solchen, die dem Fidesz wichtig sind, wurde ausgeweitet. So ist zum Beispiel die Einführung der Flat-Tax in Form eines Kardinalgesetzes ein handfester Skandal. Regierungen mit einfacher Mehrheit werden so in Zukunft in der Steuerpolitik und damit auf der Einnahmenseite des Haushalts keine großen Gestaltungsspielräume mehr haben.
3) Justizreform
Auch die Justizreform der Orban-Regierung ist hochproblematisch. So wurde das Pensionsalter von Richtern auf 62 Jahre reduziert, soll aber sukzessive wieder erhöht werden. Viel deutlicher kann man nicht machen, das man einen solchen Kniff als Mittel wählt, um unliebsame Richter loszuwerden und durch genehmere zu ersetzen. Besonderѕ problematisch: die Schaffung eines Justizrates mit sehr weitgehenden Kompetenzen. Dessen Präsident wird für 9 Jahre gewählt und kann persönlich entscheiden, Richter von einem Gericht zu einem anderen zu versetzen oder Gerichten bestimmte Fälle zu entziehen und diese an andere Gerichte weitergeben.
Die Venedig-Kommission des Europarates fand dazu klare Worte: die Justizreform sei nicht mit europäischen Standards vereinbar.
4) Kleinere Kritikpunkte
Die drei oberen Punkten reichen eigentlich schon, um zum Protest aufzurufen. Dazu gesellen sich aber zahlreiche kleinere Punkte, die für sich gesehen lediglich unschön, aber in der Masse besorgniserregend sind.
Sei es die Äußerungen, rückwirkend Gesetze einzuführen zu wollen, mit denen die früheren Ministerpräsidenten belangt werden könnten oder die rückwirkende Besteuerung (Rechtsstaatlichkeit). Sei es die fragwürdige Geschäftsordnung des Parlaments mit der Gesetze im Eilverfahren durchgedrückt werden können (Minderheitenschutz?) oder die Einschränkung der Rechte des Verfassungsgerichts. Sei es die Einschränkung des Streikrecht oder das Zentralbankgesetz.
5) JEF unter Druck
Der letzte genannte, aber für uns sehr wichtige Grund, sind JEF-interne Erfahrungen mit der politischen Entwicklung. Da sind zum einen Berichte einiger Mitglieder, die Augenzeugen von aufblühendem Nationalismus, Roma-Feindlichkeit und erstarkendem Antisemitismus wurden.
Zum anderen erschreckte uns auch die Reaktion der JEF Ungarn. Unsere Kollegen versuchten in unserem europäischen Dachverband, der JEF Europe, Aktionen gegen die ungarische Politik zu unterbinden. Der Grund hierfür war nicht etwa eine inhaltliche Ablehnung der Politik, sondern Sorge um ihre Arbeitsplätze und die Zukunft der ungarischen Sektion. Es herrscht offenbar ein Klima der Angst, dass nicht selten zur Selbstzensur führt. Um die Meinungsfreiheit scheint es auch im subjektiven Empfinden vieler Ungarn nicht mehr gut bestellt zu sein.
6) Fazit: wir müssen handeln!
Die politische Entwicklung in Ungarn gibt Grund zur Sorge. Es besteht Handlungsbedarf! Angesichts der Tatsache, dass wir Beschlüsse unseres Bundesausschusses und unseres Bundeskongresses haben, haben wir als ausführender Vorstand einen klaren Auftrag unserer Mitglieder. Diesem werden wir nachkommen.
Die Aktion am Samstag wird deshalb sicherlich nicht die letzte kritische Äußerung gewesen sein, sollte es keine Kurskorrekturen geben. Wir werden uns auch weiter in unserer Mutterorganisation, der Europa-Union Deutschland e.V., und unseren europäischen Dachverbänden, der JEF Europe und der Union Europäischer Föderalisten, dafür einsetzen, weiter Druck zu machen. Und wir werden auch an die EVP appellieren, sich kritisch mit ihren Parteifreunden in Ungarn auseinanderzusetzen.
Abschließend noch eine Bemerkung: Es geht uns bei dieser Aktion nicht darum, gegen Ungarn oder die ungarische Bevölkerung zu wettern. Die JEF hat sich damals klar für die Ostererweiterung ausgesprochen und ist froh, dass Ungarn Mitglied der Europäischen Union ist.
Es geht uns bei dieser Demonstration um zentrale Werte, die wir durch das Handeln der Regierung verletzt sehen. Wir stellen die Unterstützung der Regierung durch eine Mehrheit der Bevölkerung nicht in Frage. Grundrechtsverstöße sind allerdings durch keine noch so große Mehrheit zu rechtfertigen. Europa ist für uns Junge Europäische Föderalisten nicht nur eine Wirtschafts-, sondern eine Wertegemeinschaft!
Lesen Sie in Teil zwei, was die JEF Kritikern entgegnet.