Die reflexhaften Reaktionen auf das heute verkündete Bundesverfassungsgerichtsurteil, dass die 5% Klausel bei den Europawahlen für verfassungswidrig erklärt, kann ich nur bedingt nachvollziehen.
Sicherlich hat Heribert Prantl recht wenn er das Urteil in seiner Begründung hahnebüchen findet. Denn unter diesem Aspekt kann ich die Kritik am Urteil durchaus nachvollziehen. Die Aufregung um dieses Urteil aus einer rein nationalen Perspektive heraus kann ich allerdings nicht nachvollziehen. So kritisiert Ulla Kalbfleisch-Kottsieper in einer Stellungnahme für die Europa-Union das Urteil deutlich. Leider wird das eigentliche Problem aber nicht herausgearbeitet. Im Gegenteil: die deutsche Regelung wird mit Verweis auf die sehr unterschiedlichen Regelungen in all den anderen Mitgliedsstaaten relativiert und europaeinheitlichen Regelungen nur als Möglichkeit denn als anzustrebendes Ziel benannt. Dabei sind doch gerade diese unterschiedlichen Regelungen durchaus ein reales Problem!
Deutsche Staatsorgane – oder die anderer Mitgliedsstaaten – sind die falschen Adressaten um sich Gedanken über die Arbeitsfähigkeit europäischer Organe zu machen. Denn wenn deren Handlungsfähigkeit durch unterschiedliche Regelungen oder fehlende Schranken im Wahlrecht eingeschränkt wäre, dann müssten europaeinheitliche Lösungen gefunden werden.
Dies gilt auch unabhängig von der Frage, ob die Handlungsfähigkeit tangiert ist. Die fehlende Einheitlichkeit ist auch eine nur schlecht argumentierbare Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Denn unterschiedliche Regelungen führen zu unterschiedlichen Schranken bei der Partizipation an der demokratischen Willensbildung. Aus föderalistischer Sicht ist es durchaus ein Problem, wenn in einem Mitgliedsstaat Parteigründungen deutlich schwieriger sind als in einem Nachbarland. Problematisch ist auch, dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Kandidatur in unterschiedlichen Wahlkreisen alleine aufgrund unterschiedlicher Gesetzeslage sehr unterschiedlich wären. Dies führte z.B. auch im parteiinternen Wettbewerb zu Ungerechtigkeiten, da Kandidaten, die Sprachen der Nachbarländer gut beherrschten ggf. in diese ausweichen könnten (gesamteuropäische Parteien vorausgesetzt), während Kandidaten, die diese Sprache nicht beherrschten solche Optionen nicht hätten.
Nicht am Verfassungsgericht abarbeiten!
Last but not least: unterschiedliche Regelungen beim Wahlrecht führten selbst dann wenn sie keine Gerechtigkeitsprobleme aufwerfen würden zu einem Problem: sie machen das System kompliziert und intransparent. Ein „demokratisches“ System, dass vom Wähler nicht verstanden wird, weil es zu kompliziert ist, mag dann höchstens noch auf formaler Ebene als demokratisch durchgehen. In wie weit wirkliche Legitimation aus Wahlen herrührt, bei denen ein Gutteil der Wähler, das Wahlsystem in seinen Grundzügen nicht versteht, ist fraglich.
Ich wünschte wir würden uns weniger am Bundesverfassungsgericht abarbeiten als an den bestehenden objektiven demokratischen Mängeln im System der EU. Würden diese behoben würden Urteile wie das o.g. zunehmend unwahrscheinlicher…